Post by Lothar SchenkPost by Karl-Ludwig DiehlPost by Lothar SchenkMein persönliches Anliegen liegt in der Dharmapraxis, d.h. in der
Umsetzung des Weges, der zur Befreiung vom Leiden führt. Insofern ist es
wichtig, Vorstellungen, die mit dem eigentlichen Ziel der Lehrausübung
nichts zu tun haben, richtig einordnen zu können, um sich davon nicht in
die Irre führen zu lassen.
Ich bin kein Buddhist, sondern sehe das aus der Warte
des Religionsvergleichs (Vergleichende Religionswissen-
schaft, etc.), will sagen, eine "Befreiung vom Leiden"
ist ein Konzept, an das ich nicht glaube, sondern nur
als Idee verstehen will.
"Die Botschaft hoer' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."
Mit Glaube kommt man da nicht weiter.
Post by Lothar SchenkIch meinerseits glaube nicht an den Wert vergleichender
Religionswissenschaften.
Das steht Dir frei. Andererseits entwickelt eine solche Dis-
ziplin einen methodischen Apparat, um vergleichbare The-
men aus den unterschiedlichen Religionen zu bearbeiten.
Damit kommt man sehr weit. Natuerlich kann das nicht
alles leisten. Es bleibt immer ein unbearbeiteter Rest.
Post by Lothar SchenkDa kann man bis in alle Ewigkeit Konzepte
waelzen und vergleichen und sich im Kreise drehen, ohne je zur
Wirklichkeit hinter den Konzepten zu gelangen (oder ueberhaupt die
Notwendigkeit dazu zu sehen).
Daselbe Problem hast Du religionsintern.
Post by Lothar SchenkDie Wirklichkeit hinter den Konzepten
vermag nur die eigene Erfahrung zu erhellen, und nur dadurch ist man
ueberhaupt in der Lage, den relativen Wert oder Unwert eines Konzeptes
als Beschreibung der Wirklichkeit einschaetzen zu können.
Du kannst das am Thema "Meditation" festmachen. Was ist dabei
"die eigene Erfahrung"?
Daselbe Problem hast Du bei der sogenannten "Gottessuche" der
Mystiker. Erfahrungen, die von ihnen gemacht werden, sind selten
schriftlich niedergelegt. Um das wissenschaftlich zu bearbeiten,
bist Du aber auf Selbstzeugnisse angewiesen. Das gilt folglich auch
fuer die Theologien.
Post by Lothar SchenkTatsaechlich ist Leiden, in welcher Form auch immer, die grundlegende
Erfahrung im Leben, und ohne Ausnahme alles, was Menschen und auch alle
anderen Lebewesen tun, verfolgt den Zweck, sich "irgendwie" vom Leiden
zu befreien, oder, wie es meistens ausgedrueckt wird, gluecklich zu sein
(oder zu werden). Das eigentliche Problem dabei ist nun, und auch das
ist die allgemeine Erfahrung, dass dieses Gluecklichsein nie andauert.
Es hat keinen Bestand. Es kehrt sich immer wieder in sein Gegenteil um -
eben ins Leiden.
Das mag wohl so stimmen, wie Du sagst, aber es muss dann in
Worten geklaert sein, was mit "Leiden" an der Welt, usw. gemeint
ist. Von buddhistischen Lehrern hast Du dazu unterschiedliche
Texte. diese lassen sich vergleichen. Es gibt unterschiedliche
buddhistische Schulen. Diese moegen wiederum andere Erklae-
rungsmodelle bieten. Diese lassen sich vergleichen.
Post by Lothar SchenkWenn du nun sagst, dass du an eine (endgueltige) "Befreiung vom Leiden"
nicht glaubst, dann sehe ich darin nichts Anderes als einen Ausdruck
eben dieser allgemeinen Erfahrung, aber gleichzeitig gekoppelt mit der
Erwartung, dass sich daran nichts aendern lassen wird.
Beim Religionsvergleich sehe ich das von aussen, also nicht
als Glaeubiger. Das Bestreben geht dahin, die Sichtweise des
Glaeubigens moeglichst genau zu erschliessen. Die eigene
Erfahrung besteht darin, sich in die Sichtweise des Glaeubigen
zu versetzen. Dazu braucht es jedoch die Selbstzeugnisse der
Glaeubigen.
Post by Lothar SchenkWenn ich nun aber nicht an die Moeglichkeit einer endgueltigen Loesung
des Leidens-Problems glaube, verdamme ich mich damit automatisch dazu,
solange ich lebe (was nun nach buddhistischer Auffassung weit ueber die
Grenzen des gegenwaertigen Lebens hinausgeht) unausweichlich leiden zu
muessen.
Diese Idee der Verdammnis ist z.B. ein Gegenstand, der
wissenschaftlich
bearbeitet werden kann. Es handelt sich ja dabei um ein Glaubensgut,
das verstehbar gemacht werden soll und im Vergleich als Gegenstand
interessant betrachtet werden kann.
Post by Lothar SchenkJedes Glueckserlebnis, sobald es ausgekostet ist, verfluechtigt
sich und ich stecke doch wieder drinnen im Leiden - das, was ich nicht
haben moechte.
Mir faellt dazu das Zeitalter der Empfindsamkeit, also die Romantik
des
europaeischen Westens, ein.
Post by Lothar SchenkDa soll nun kein Entrinnen moeglich sein?
Nur im erdachten Denkmodell.
Ich hatte mich einmal, um unsere alltaeglichen Sichtweisen
besser zu verstehen, in die konstruktivistische Erkenntnistheorie
eingearbeitet:
http://konstruktivistischeerkenntnistheorie.blogspot.com/
Johann Ortner hat dazu einen lesbaren Text geliefert, der sich
mit unserer Innerlichkeit und den dauernd ablaufenden Prozes-
sen beschaeftigt. Ich will dich nun nicht auffordern, Dich einmal
damit auseinanderzusetzen, weil das einen besseren Umgang
mit buddhistischem Denkgut mit sich bringt, sondern will nur
sagen, dass wir in unserem Denken und Ideenentwickeln an
unsere geistigen und seelischen Prozesse gebunden sind
und immerzu Krisen ueberwinden muessen, indem wir voraus-
planen. Der Buddhismus liefert dazu Denkhilfen, indem er
Vorausplanungskonzepte interessantester Art liefert.
Post by Lothar SchenkIst eine solche Ansicht, angesichts des nicht zu verkennenden
Gluecksstrebens, das offenbar ausnahmslos jedem Lebewesen innewohnt und
alle seine Handlungen diktiert, wirklich eine brauchbare Lebensauffassung?
Wenn man das Wortgut genau zusammenstellt, entdeckt man
sehr rasch die Struktur der Konzeption: Leiden/Gluecksstreben/
usw. Es ist unuebersehbar, dass mit Wortwelten gearbeitet wird,
in denen die Worte bestimmte Bezuege herstellen und Modelle
der Lebenswirklichkeit schaffen, die einerseits als das Positive
und andererseits als etwas, woran man leiden wird, ausformuliert
sind. Wenn man sich aus dieser Wortwelt herausbegibt und in
eine andere eintaucht, sehen die Zusammenhaenge ganz anders
aus. Wir als Menschen leben in erarbeiteten Wortwelt und Denk-
mustern. Diese sind immer unsere Erfindungen oder weiterge-
gebene Erfindungen. Die Wirklichkeit fuer uns ist immer etwas
von uns Erfundenes. Alles andere ist ausserhalb davon.
Post by Lothar SchenkLetzten Endes muss jeder selbst entscheiden, wie er sich zu dieser Frage
stellen will.
http://home.arcor.de/einsicht/faithinawakening.html#anfang
Ich schaue rein, wenn ich viel Zeit dafuer freimachen kann.
Auf die Schnelle fand sich darin dies:
"Der Buddha verlangte niemals von irgend jemandem bedings-
losen Glauben."
Das ist logisch. Jeder sollte sich selbst seine Gedanken machen.
Die Kunst der Lehre besteht wohl darin, jeden dazu zu veran-
lassen, selbst bis zur hoechsten Erkenntnis vorzudringen. Aber
welche kann sie sein?
Post by Lothar SchenkPost by Karl-Ludwig Diehl... Die Frage ist, ob man
einer "romantischen Sichtweise" ueberhaupt als Mensch entgehen
kann?
Wenn ich "romantisch" mit "verklaert" bzw. "nicht so, wie die Dinge
tatsaechlich sind" uebersetze, dann ist die Antwort des Erwachten darauf
ein klares Ja.
Jedoch koennen wir nicht wissen, "wie die Dinge tatsaechlich sind",
sondern sind nur in der Lage, uns Denkmodelle dazu zu schaffen.
Wenn ein "Erwachter" glaubt, er habe die Wirklichkeit geschaut,
so ist das immer doch nur ein Denkmodell, von dem er jedoch
meint, es sei die Wirklichkeit.
Die konstruktivistische Erkenntnistheorie macht ueberdeutlich, dass
wir in unserem eigenen menschlichen Denken gefangen sind.
K.L.